Mittwoch, 31. Oktober 2012

Novinki, nicht mehr aber weniger.

Der überfüllte Bus fährt um die Kurve und bei dem, was ich dann sehe verdreht sich mir der Magen. Ein großes, mit Schnee bedecktes Feld und am Ende des Feldes ein Wald auf der rechten und die größte Psychatrie Minsk's auf der linken Seite.
Mir wird beim aussteigen erst bewusst, wo ich gerade hingefahren bin, nach Novinki, dem so ziemlich trostlosesten Ort überhaupt. Ein Zusammentreffen von Kliniken soweit das Auge reicht und herruntergekommen alten Häusern- zwischendrin ein russisch-orthodoxes Kloster.

Zwei Tage werde ich nun in Novinki verbringen, einem Heim für körperlich und psychisch behinderte Kinder und Jugendliche, zusammen mit Flo auf der Kleinkinderstation. Diese Vorstellung bereitete mir Freude und zugleich überkam mich die Angst, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein, das Leiden nicht ertragen zu können.
Auf der Station angekommen, begrüßten wir zuerst die Sanitärhelfern und die Pädagogen, ich stellte mich kurz vor und dann betrat ich das erste Zimmer. In diesem Zimmer
lagen drei Kinder im Bett, ein Junge saß auf dem Boden und Pascha saß neben seinm Bett auf einem Stuhl.
Ich habe mich ihm vorgestellt, mehr eine Höfflichkeitssache, er kann es eh nicht verstehen. Er streckt seine dünnen Ärmchen nach mir aus. Flo erklärt mir, wie ich mit ihm laufen kann und schon standen wir auf dem Gang. Ein breites grinsen lässt sich in Paschas Gesicht ablesen, ein jauchtzen stößt er hervor. Wir laufen den  Gang hoch und wieder runter und hoch und wieder runter. Pascha hat einen guten Tag. Mir ist bei jedem Lachen das Herz aufgegangen. Nur ein Lachen, was viel Wert ist, wenn sonst keine anderen Emotionen zu erkennen sind.
Später bringen wir Lena hoch auf die Mädchenstation. Sie ist die fitteste der Kleinkinderstation. Oben angekommen, bringen wir sie in den Töpferraum. Auf dem Weg dorthin kommt uns ein Mädchen entgegen, sie kommt zu mir und schlägt mich. So läuft das dort, ihnen wird dieses Verhalten von den Sanitärhelfern "vorgelebt".Nicht mehr, nicht weniger. Sie kennen nichts anderes.
Lena ist sehr gerne dort, kann das machen, was ihren motorischen Fähigkeiten entspricht.
Anschließend gehen Flo und ich auf die Liegendenstation. Dort steuern wir das Zimmer von Roma und Pascha an. Pascha spricht gut englisch. Wir unterhalten uns mit ihm über die Wahlen in der Ukraine, den Hurricane Sandy und seinen Musikgeschmack.(Er liebt Techno :) ) Roma zeigt uns seine Fotoalben. Man merkt, wie stolz er aus sie ist.
Mit Lena, die wir nach einer Stunde wieder abgeholt haben, geht es wieder runter auf die Kleinkinderstation. Es gibt Mittagessen, wenn man von essen reden kann. Es handelt sich mehr um ein "Mund auf, essen reinkippen., Mund zu, fertig".
Flo und ich nehmen uns die Zeit, um Pascha und Maxim in Ruhe zu füttern. In der Zeit in dem die beiden mit ihrer Suppe fertig sind, haben die Sanitärhelfer alle anderen Kinder zuende gefüttert. Suppe, Hauptgang, Trinken.(Wenn nicht eh alles zusammengemischt wird)
Ich muss sagen, bis zu dem Punkt ein wirklich angenehmer Tag. Viele glückliche, strahlende Gesichter.
Ein lauter Schrei, ein Junge der mit dem Kopf gegen den Bettrahmen knallt, er weint. Er ist taubstumm. Flo probiert ihn festzuhalten, der Junge beißt nach ihm, keine einzige der Sanitärhelferinen kommt. Nach gefühlten fünf Minuten, Hilfe!!!??! Eine der Frauen kommt rein, geht zum Schrank, nimmt ein Tuch herraus, bindet dem Jungen die Arme hinter dem Rücken zusammen und wirft ihn ins Bett. Das wars!
Dieses Bild zerstört alles für den Moment, alles Positive was der Tag geboten hat.

Flo und ich gehe zur Bushaltestelle. Das einzige was mir wirklich bewusst wird ist der Satz " Das war heute im Ganzen ein guter Tag".
Ich realisiere nicht wirklich, was an diesem doch sehr traurigen Ort abgeht. Ich erfass es nicht.Natürlich rieche, höre und sehe ich alles. Aber verarbeiten kann ich das nicht. Das werd ich wohl nie.

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